Audioversion:
Da traumatische Erinnerungen sowohl unbewusst als auch beständig sind, sind sie schwer zugänglich und unterbrechen durch das Aufrechterhalten einer nicht mehr relevanten Information unsere Fähigkeit durch immerwährende Anpassung mit unserer natürlichen und sozialen Umgebung in Verbindung zu stehen. Die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung lassen sich auf diese beiden Charakteristiken der traumatischen Erinnerung zurückführen. Zu diesen Symptomen gehören:
- Intrusionen und Flashbacks. Dadurch, dass das Erleben eines Traumas als unbewusste Erinnerung in der Amygdala gespeichert ist, kann es durch Ereignisse, die diesem Erlebnis ähneln, zu einem plötzlichen und unwillkürlichen Wiedererleben des Traumas kommen (LeDoux, 1996). Dieses plötzliche Wiedererleben eines lebensbedrohlichen Ereignisses, das der Betroffene nicht bewusst erinnert und das in keinem Zusammenhang zu seiner derzeitigen Situation steht, wird von ihm selbst sowie von seinem sozialen Umfeld als befremdlich und absurd erlebt und beeinträchtigt das Verhältnis des Betroffenen zu sich und anderen.
- Hysterie. LeDoux beschreibt, wie die Amygdala, in einem Zustand der ungeregelten Überstimulierung, Signale zu mehreren Nervenzentren sendet, um eine körperliche Mobilisation zu veranlassen. Diese Nervenzentren senden ihrerseits Signale zurück zur Amygdala was zu sich verselbständigenden zyklischen Reaktionen führen kann (LeDoux, 1996). Diese extremen Überreaktionen stehen in keinem Verhältnis zu den oft alltäglichen Situationen, durch die sie ausgelöst werden.
- Zwanghafte Trauma Nachstellungen. Der Neurologe Robert Scaer erklärt, dass während eines lebensbedrohlichen Erlebnisses Hormone ausgestoßen werden können, die eine kurzfristige Betäubung veranlassen und dass ein Betroffener eine Abhängigkeit zu diesen Hormonen entwickeln kann. Diese Abhängigkeit könnte das zwanghafte Verhalten erklären, das Betroffene dazu veranlassen kann immer wieder Situation nachzustellen, die dem traumatischen Erlebnis ähnlich sind (Scaer, 2001). Der Biophysiker und Psychologe Peter Levine geht davon aus, das zwanghaftes Trauma Nachstellen wesentlich zur Eskalation und Wiederholung von gewalttätigen Handlungen beiträgt (Levine, 2005).
- Dissoziative Störungen. Scaer erklärt, das dissoziative Störungen wie z.B. multiple Persöhnlichkeitsstörungen, mit der ‘Freeze’ Reaktion zusammenhängen, mit der ein Betroffener in einer lebensbedrohlichen Lage reagiert, wenn eine Möglichkeit zur Flucht oder zum Kampf ausgeschlossen ist. Es ist eine Reaktion, in der der Betroffene sich von seinem eigenen, ihm unerträglich gewordenen Erleben abspaltet, um ein Überleben zu ermöglichen (Scaer, 2001). Dieses Abspalten kann zu einer Gewohnheit werden und das ‘Nicht-mehr-präsent -sein’ unterbricht die Verbindung, die der Betroffene mit sich und seiner natürlichen und sozialen Umwelt hat.
Während die hier aufgeführten Symptome meist durch einmalige lebensbedrohliche Erlebnisse ausgelöst werden, gibt es auch ähnliche aber voneinander unterschiedliche und eher allgegenwärtige Symptome, die durch anhaltende Stresserfahrungen und wiederholte Traumatisierungen besonders im frühen Kindesalter ausgelöst werden (Kolk, 2005). Man spricht in diesem Zusammenhang von einem komplexen Trauma oder von einem Entwicklungstrauma.
Entwicklungstraumata werden auch mit psychischen Erkrankungen wie der Borderline-Persöhnlichkeitsstörung in Zusammenhang gebracht. Die medizinische Sozialarbeiterin Christine Ann Lawson beschreibt die Symptome dieser Erkrankung, die durch plötzliche, impulsive, psychotische Reaktionen charakterisiert werden kann. Sie unterscheidet dabei zwischen vier unterschiedlichen Charaktertypen von denen zwei zu gewaltsamen Handeln neigen. Lawson verweist auf Fallbeispiele, die zeigen, dass diese Störung bei den Erkrankten aber auch bei deren Familienmitgliedern zu extremen Gewaltakten geführt hat (Lawson, 2004).
,,Bei Trauma geht es um zerbrochene Verbindungen. Die Verbindung mit dem Körper/dem Selbst, der Familie, Freunden, der Gemeinde, der Natur und mit dem Geist ist zerbrochen und setzt dadurch die sich ständig erneuernde Abwärtsspirale traumatischer Entfremdung in Gang.“
Levine 1997, in eigener Übersetzung
Eine direkte kausale Verbindung zwischen Trauma und Gewalt ist hier besonders bei dem Symptom der Zwanghaften Traumanachstellung und bei der Borderline Persöhnlichkeitsstörung deutlich. Ein dissoziatives Verhalten hat dabei eine eher indirekte Beziehung zu Gewalt, da sie diese durch ein ‘Nicht-Verhindern’ ermöglicht.
Wir können zusammenfassend sagen, dass wir, veranschaulicht durch die Plastizität des Gehirnes, eine Tendenz vorfinden im Fluss und mit uns selbst und unserem Umfeld in Verbindung zu sein. Das aber diese Verbindung durch unverarbeitete traumatische Erlebnisse, die als unbewusste und beständige Erinnerungen im Körper gespeichert bleiben, unterbrochen werden kann. Diese Unterbrechung und ihre verschiedenen Auswirkungen können Gewalt ermöglichen und fördern.
Da diese Gewalt ihrerseits wieder zu traumatisierenden Erlebnissen führen kann, die wiederum Gewalt zulassen und/oder fördern, wird ein sich verselbständigender Zyklus von Gewalt möglich. Lisak und Beszterczey verweisen auf eine Studie, für die die Lebensgeschichten von 43 zum Tode verurteilten Männern untersucht wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen mehreren und oft schweren Formen von Missbrauch ausgesetzt waren. Dieser Missbrauch war typischer Weise multigenerationell und so gut wie immer mit Drogenmissbrauch verbunden. Die Studie verweist dabei besonders auf das Verhältnis zwischen Entwicklungstrauma und männlichen Sozialisationsproblemen/Gewalt. (Beszterczey, 2007)
Bibliographie
Beszterczey, D. L. (2007). The cycle of violence: The life histories of 43 death row inmates. Psychology of Men & Masculinity , 2(8), 118-128.
Kolk, B. v. (2005). Developmental Trauma Disorder. Psychiatric Annals, 5(35), 1-8.
Lawson, C. A. (2004). The Borderline Mother. Lanham: Rowman and Littlefield Publishers.
LeDoux, J. (1996). The Memotional Brain. New York: Simon and Schuster Paperbacks.
Levine, P. (2005). Healing Trauma. Boulder: Sounds True.
Levine, P. (1996) Waking the Tiger: Healing Trauma. Berkeley California: North Atlantic Books
Scaer, R. (2001). The Neurobiology of Dissociation and Chronic Disease. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 1(26), 73-91.
Abbildungen
https://wellcomecollection.org/articles/W89GZBIAAN4yz1hQ