Audioversion:
Ein Gefühl der Verbundenheit gibt es auch in einem weiteren sozialen also gesellschaftlichen Zusammenhang. Dieses Gefühl das der Soziologe Ron Eyerman als Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe beschreibt (Eyerman, 2001) kann durch soziale Krisen gestört werden, die Erlebnisse von Entfremdung, sozialer Trennung und Abspaltung auslösen. Diese Krisenwerden oft durch Kriege, Revolutionen und andere plötzliche soziale Umwälzungen verursacht. Der Politikwissenschaftler Thomas Nairn hat die Industrialisierung und die extremen Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen, die durch diese ausgelöst wurden, sowie den modernen Kapitalismus und seine entfremdenden Wirkungen als eine soziale Krise identifiziert (Nairn, 1977). Auch Luckhurst spricht von den Schockwirkungen des modernen Lebens, die seit dem 18ten Jahrhundert durch die zunehmende Industrialisierung verursacht wurden (Luckhurst, 2008).
Einzelbild aus dem Film Das Vermächtnis
Der kausale Zusammenhang zwischen einem Beziehungsverlust auf gesellschaftlicher Ebene und Gewalt wird in der These des Geschichtswissenschaftlers George Mosse deutlich, der sich mit den ideellen und gesellschaftlichen Ursachen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat. Mosse unterstreicht dabei die Bedeutung des Verlustes des sozialen Zusammenhalts, indem er den Aufstieg des Faschismus in Deutschland auf eine verzerrte Ideologie zurückführt, die sich als Reaktion auf ein Gefühl der Entwurzelung entwickelte, von dem große Teile der deutschen Bevölkerung seit dem frühen 19. Jahrhundert betroffen waren (Mosse, 1964).
Wir haben bisher die Auswirkungen von Beziehungsverlusten und deren Zusammenhang zu Gewalt in der Psyche des einzelnen, im sozialen Umfeld und im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang separat besprochen. Natürlich treten diese Phänomene auch gleichzeitig auf und verstärken sich dadurch gegenseitig in ihrer Wirkung. Wie eine Situation entstehen kann, in der viele Menschen mit unverarbeiteten traumatischen Erfahrungen durch ein zusätzliches Erleben von Scham und Demütigung ihren Zugang zu sozialen Bezügen verloren, in einer Gesellschaft, in der das Gefühl der sozialen Zusammengehörigkeit schon seit längeren gestört war und wie diese Beziehungsverluste auf vielen sich gegenseitig verstärkenden Ebenen Gewalt förderten und zuließen, werden wir in dem zweiten Teil dieser Blog Serie besprechen, wenn wir uns mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen.
Bibliographie
Eyerman, R. (2001). Cultural Trauma. Cambridge: Cambridge UP.
Luckhurst, R. (2008). The Trauma Question. New York: Routledge.
Mosse, G. (1964). The Crisis of German Ideology. New York: Schoken Books.
Mosse, G. L. (1979). Ein Volk, ein Reich, ein Führer: deutsch völkische Ursprünge des Nationalsozialismus (Deutsche Erstausgabe ed.). Königstein: Athenäum Verlag.
Nairn, T. (1977). The Break-up of Britain. London: New Left Books.
Abbildungen
Einzelbild aus dem Film Das Vermächtnis