Blog 8: Trauma-ähnliche Erlebnisse im sozialen Umfeld, b) Sozialer Bezugsverlust und Gewalt

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Eine Unterbrechung der Grundtendenz zur sozialen Verbundenheit kann im sozialen Zusammenhang durch das Erleben von Scham, Erniedrigung und durch den Tod eines Nahestehenden entstehen. Wie die Verluste von Verbindungen, die durch das traumatische Erinnern ausgelöst werden, können auch Verlusterlebnisse im sozialen Bereich Gewalt hervorrufen. Dies zeigen die folgenden Beobachtungen.

In ihrer Arbeit als Psychotherapeutin stellte Lewis fest, dass es bei ihren Patienten und Patientinnen zu feindseligem Verhalten kam, nachdem diese eine beschämende Erfahrung gemacht hatten, die nicht angesprochen und verarbeitet worden war (Lewis, 1971).

Inwieweit Scham als Erlebnis eines Verlustes zum Zugang von sozialen Beziehungen mit Gewalt zusammenhängt wird in Collins Beschreibungen von dominanten Interaktionen deutlich. Während, laut Collins, emotionale Energie gewonnen werden kann, wenn es Menschen gelingt in einer Interaktion ihren Mikrorhythmus aufeinander einzustimmen, kann ein solcher Gewinn auch durch eine dominante Interaktion zustande kommen. Dabei kämpft derjenige, der eine Dominanz aufbauen will darum, seinen Mikrorhythmus in der Interaktion zu etablieren, während sich das Opfer diesem Rhythmus unterordnet. Der dadurch gestärkte Rhythmus des Dominierenden erfüllt diesen mit einem Gefühl der Überlegenheit, was ein Zuwachs an emotionaler Energie auslöst. Laut Collins haben potenzielle Opfer ein geringes Maß an emotionaler Energie, was die Dominanz erleichtert, während Täter ebenfalls ihre emotionale Energie erhöhen müssen, aber gelernt haben, emotionale Energie durch eine dominierende, ungleiche Interaktion zu erlangen (Collins 2008: 189). Die dominante Interaktion, die als eine Form von Gewalt verstanden werden kann, wird dabei zu einem alternativen Mittel zur Gewinnung emotionaler Energie. Diese Alternative wird relevant, wenn durch ein Erleben von Bezugsverlust durch Scham und Demütigung der Eindruck entsteht, dass ein Zugang zu einem Gewinn an emotionaler Energie durch ein sich aufeinander Einstimmen in ausgeglichenen Interaktionen in einer Gruppe nicht möglich ist.

Mobbing in der Schule

Die Psychologin Evelin Gerda Lindner identifiziert die Dynamik der Demütigung als die Schlüsselkomponente in Konflikten, die zu Kreisläufen der Gewalt eskalieren. Lindner unterscheidet zwischen Demütigung und Scham und hebt das Element der Erniedrigung als ein besonderes Merkmal der Demütigung hervor, das sie als “erzwungene Herabsetzung einer Person oder einer Gruppe, einen Prozess der Unterwerfung, der ihren Stolz, ihre Ehre und ihre Würde schädigt oder zerstört” definiert. Laut Lindner ist Depression oft die erste Reaktion auf eine Demütigungserfahrung, gefolgt von dem Wunsch, sich mit aggressiver Gegendemütigung zu rächen, die, je nachdem welche Ressourcen den Opfern zur Verfügung stehen, von Sabotage bis zu offeneren Formen der Aggression reichen kann (Lindner, 2002).

Für den Soziologe Thomas Scheff sind die unverarbeiteten Erfahrungen, die durch die Scham des Ausgeschlossenseins ausgelöst werden sowie Erlebnisse von Demütigung, eine Quelle des Hasses und die verdeckte Komponente von Wut und Aggression. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem sich verselbständigenden Kreislauf von Scham und Wut (Scheff, 2006). Scheff untersucht die emotionalen und beziehungsbedingten Ursachen von Gewalt und findet ein Muster des Gefühlsmanagements, das er “Hypermaskulinität” nennt, in der unverarbeitete Erlebnisse von Scham und Entfremdung eine Schlüsselrolle spielen. Scheff weist darauf hin, dass das für Hypermaskulinität charakteristische Schweige und oder Gewaltmuster aufgrund kultureller Konditionierung hauptsächlich bei Männern zu finden ist. Diesem Muster entspricht ein weibliches Äquivalent, das aus Gehorsam, blinder Loyalität und Angst besteht. Er beschreibt Frauen, die dieses Muster anwenden, als hyperfeminin und zeigt, dass sie von hypermaskulinen Männern angezogen werden. Nach Ansicht von Scheff verstärken die beiden Hypergeschlechter sich gegenseitig und schaffen so eine soziale Atmosphäre, die Gewalt und Krieg ermöglicht (Scheff, 2007).

Während in der Psychologie des Einzelnen, die Beständigkeit und der oft unbewusste Charakter der traumatischen Erinnerung zu einem Bindungsverlust beitragen, kann dieser im sozialen Bereich durch unverarbeitete Erlebnisse von Scham, Demütigung und Trauer ausgelöst werden. In beiden Fällen besteht die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhanges zwischen dem Verlust der Verbindung und gewalttätigem Handeln.

Bibiographie

Collins, R. (2004). Interaction Ritual Chains. Princeton: Princeton UP.

Collins, R. (2008). Violence. Princeton: Princeton UP.

Lewis, H. (1971). Shame and Guilt in Neurosis. New York: IUP.

Lindner, E. G. (2002). Healing the Cycles of Humiliation: How to Attend to Emotional Aspects of “Unsolvable Conflicts” and the Use of “Humiliation Entrepreneurship”. Peace and Conflict, Journal of Peace Psychology, 2(8), 125.

Scheff, T. (2006). Theory of Runaway Nationalism: Love of Country/Hatred of Others. Abgerufen am 8. März 2009, von http://www.soc.ucsb.edu/faculty/scheff

Scheff, T. (2007). War and Emotions: Hypermasculine Violence as a Social System. Abgerufen am 8. März 2009, von http://www.soc.ucsb.edu/faculty/scheff

Abbildungen

https://www.verywellfamily.com/do-girls-and-boys-bully-differently-460494