Blog 11: Das Konzept der Ungleichheit als Legitimierung von Gewalt in der frühen europäischen Geschichte

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  1. Das griechisch-römische Erbe

Da Deutschland als Nation erst seit 1870 existiert, müssen wir, wenn wir in der Geschichte weiter zurückgehen, von den west-europäischen Volksstämmen sprechen, die ihrerseits sehr stark von der Kultur und dem Denken der Griechen und Römer beeinflusst waren. Gehen wir also zurück bis in das altgriechische Reich, so finden wir ein Zitat des Philosophen Aristoteles, der in seinem Buch ‚Politica‘ den Begriff der Herrschaft und die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft definiert.

Buchumschlag Greenbook  Verlag

Aristoteles schreibt, in diesem Zusammenhang:

‚..daraus folgt, dass selbst die Kriegsführung von Natur aus eine Form des Erwerbes ist – denn die Jagdkunst gehört dazu -, die gegen wilde Tiere und gegen jene Menschen angewendet wird, die nicht bereit sind, regiert zu werden, obwohl sie zur Unterwerfung geboren sind, insoweit dieser Krieg von Natur aus rechtmäßig ist.

Aristoteles 384-322 BC

Aristoteles unterscheidet hier zwischen Menschen, die dazu geboren sind Unterworfene zu sein und solchen, die dazu geboren sind zu unterwerfen. Diese Sichtweise zeigt, dass eine Perspektive der allgemeinen sozialen Verbundenheit schon mehrere hundert Jahre vor der Geburt Christi nicht mehr existierte. Hier wird auch deutlich, dass eine solche Perspektive, in der davon ausgegangen wird, dass Ungleichheit von Natur aus vorgegeben ist, dazu verwendet werden kann, Gewalt zu legitimieren.

Der Geschichtswissenschaftler Benjamin Isaac beschreibt, wie dieses Konzept der Ungleichheit in der griechischen Gesellschaft ein grundlegendes Element für die Idee und politische Praxis des Imperialismus war, welcher später von den Römern übernommen und entsprechend angepasst wurde (Isaac, 2006). In diesem Zusammenhang erwähnt Isaac Texte von Aristoteles, Vitruvius und Vegetius.

Dass das von Aristoteles formulierte Konzept der Ungleichheit, das den Imperialismus ermöglichte, auch die Grundlage für den Genozid des Nationalsozialismus bildete, wird von dem Literaturwissenschaftler Vincent P. Pecora bestätigt. Pecora sieht eine Verbindung zwischen dem in Westeuropa entwickelten Begriff und der Praxis des Imperialismus und dem Antisemitismus, da beide auf einer Perspektive beruhen, in der die soziale Verbundenheit aller Menschen nicht anerkannt wird, was Gewalt gegenüber denjenigen ermöglicht, die als ,Andere‘ angesehen werden. Seiner Meinung nach ist es dringend notwendig, die „jahrhundertealte und immer effektiver werdende Verfolgung der ‚Anderen‘ durch den Westen anzuerkennen“ (Pecora, 1992).

Für den Literaturwissenschaftler Peter Haidu führt eine Perspektive, in der ,Andere‘ als fremd wahrgenommen werden, zu einer ,Desubjektivierung‘ und ist eine Voraussetzung für Gewalt. Haidu bezieht sich auf Himmlers Rede, die die SS auf die ,Endlösung‘ vorbereitete, und weist darauf hin, dass diese Perspektive das grundlegende Legitimationsprinzip war. Himmlers Hauptanliegen war es, eine mögliche Identifikation mit den ,Anderen’ zu verhindern und deren Desubjektivierung somit zu fördern (Haidu, 1992).

Wir werden uns im nächsten Blog damit auseinandersetzen, wie sich die Ideologien und Praktiken des römischen Imperialismus nach dem Untergang des römischen Reiches innerhalb der westeuropäischen Volksstämmen weiterverbreiteten.

Bibliographie

Aristoteles. (n.d.). Book 1. In Politics (p. 1256B).

Haidu, P. (1992). The dialectics of Unspeakability: Language, Silence, and the Narratives of Desubjectification. In S. Friedlander (Ed.), Probing the limits of cultural representation (p. 277). Cambridge: Havard UP.

Isaac, B. (2006). ‘Proto-Racismin Greaco-Roman Antiquity’. World Archaeology, 1(38), 32-47.

Pecora, V. P. (1992). ‘Habermas, Enlightenment and Antisemitism’. In Probing the limits of cultural representation (p. 161). Cambridge: Havard UP.

Abbildungen:

https://www.kobo.com/ie/en/ebook/politica-24